Es war ein Design-Event der leiseren, subtileren Töne. Hier wurde weder mit spektakulärer Geste eine neue Designphilosophie verkündet, noch eine neue Kollektion in messetypischer Inszenierung präsentiert, um das Produkt in einem perfekt gestylten Umfeld optimal zur Geltung zu bringen, wie man es von den Pure-Segmenten der internationalen Einrichtungsmesse imm cologne gewohnt ist. Vielmehr handelte es sich bei „Das Haus – Interiors on Stage“ um eine halb realistische, halb visionäre Darstellung eines Traums vom Wohnen – in diesem Fall Luca Nichettos Traum. In dem neuen Design-Format der imm cologne, das erst vor einem Jahr eingeführt wurde, geht es weniger um einzelne Produkte als um das Zusammenspiel aller Faktoren des Interior Designs. Möbel sind hier wichtige Solisten innerhalb des Ensembles, aber eben keine Superstars.
Die imm cologne hat mit dem Konzept für „Das Haus“ und mit der Wahl der bisherigen Designer – 2012 Doshi Levien, 2013 Luca Nichetto – unterstrichen, dass es ihr mit der Zielsetzung einer viele Sortimente abbildenden „Einrichtungsmesse“ ernst ist. Und Luca Nichettos Interpretation von „Das Haus“ hat eindrucksvoll bewiesen, dass dies ein ernst zu nehmendes Format für die Disziplin des Interior Designs ist – vielleicht das erste seiner Art auf einer so wichtigen Einrichtungsmesse.
Wovon die Designer unserer Zeit träumen
„Das Haus“ ist ein Ausstellungsformat, das jedes Jahr einem anderen Kreativen Raum gibt, ein eigenständiges, sehr persönliches Interior Design zu verwirklichen. Bislang brauchten Interior Designer dafür einen Auftrag, ein Haus und die Aufgeschlossenheit des Auftraggebers für ihren Geschmack und für neue Ideen. Zudem muss die Arbeit sehr praktischen und technischen Anforderungen genügen. „Das Haus“ befreit den Kreativen von diesen Voraussetzungen und wird so zu einem wiederkehrenden Experiment, das ein Höchstmaß an Freiheit bietet. Damit gibt „Das Haus“ auch endlich eine Antwort auf die Frage, wie die großen Designer unserer Zeit gerne wohnen würden.
Authentisches Beispiel für zeitgenössische Wohnkultur
Trotz des zukunftweisenden Konzepts, in dessen Fokus Luca Nichettos Vorstellungen vom grünen Wohnen standen, war “Das Haus“ auch 2013 im Hier und Jetzt verankert und bot konkrete Anregungen für das zeitgenössische Interior Design. Der Venezianer hat diese Herausforderung mit viel Gefühl für räumliche und farbliche Harmonien, mit Detailreichtum und Eleganz beispielhaft gelöst. In „Das Haus“ wirkte nichts steif oder künstlich: Die meisten Besucher hätten sich vorstellen können, spontan einzuziehen. Gleichzeitig hat der Designer es verstanden, mit seine Idee eines „Slow House“ (Slow Food + House = Slow House) konzeptionelle Impulse zu setzen. In Köln hat sich mit dem Produktdesigner Luca Nichetto die Disziplin des Interior Designs wieder ein gutes Stück von der Dominanz des Möbeldesigns emanzipiert.
Ein (fast) echtes Haus mitten in Pure Village
Etwas versteckt zwischen den Kuben des Pure Village, die eine abwechslungsreiche Nachbarschaft für „Das Haus“ bildeten, stießen interessierte Besucher wie zufällig vorbeischlendernde Design-Flaneure auf ein kleines Juwel: Auf dem 180 qm großen Podest erhob sich eine Wohnhaus-Architektur, die ihren Garten in den Wänden trug – in Form von rund 350 bepflanzten Töpfen, die in der von Lichtfugen durchbrochenen Außenfassade integriert waren. Große Fenster zogen den Blick in das offene, einladende Innere einer komplett eingerichteten Wohnungs-Inszenierung, die wie ein authentischer, mitten in das hektische Messe-Geschehen versetzter Bungalow wirkte. Fast war man überrascht, dass „Das Haus“ nicht wirklich bewohnt war.
Wirklich nicht bewohnt? Nicht ganz. An den ersten vier Messetagen zumindest war der Designer durchgehend in seinen „vier Wänden“ anzutreffen. Am liebsten, so ließ er verlauten, hätte er in seinem „Haus“ auch gleich gekocht und Gäste bewirtet. Luca Nichetto hatte jedes Detail der Innenraumgestaltung bedacht, von den Farben und Materialien über die Möblierung, die Bestückung von Loggia, Raumteilern und Wohnbereichen mit Pflanzen über ausgesuchte Kunstwerke bis hinunter zu Töpfen und Pfannen, Aschenbechern und Briefbeschwerern.
1.200 Produkte, 650 Accessoires, 400 Pflanzen, 95 Designer, 85 Hersteller
Insgesamt wurden 1.200 Produkte eingesetzt, davon alleine rund 400 Blumentöpfe und 650 Accessoires. In einem Kraftakt organisierte die koelnmesse dafür bei 85 Herstellern teils geliehene, teils erworbene Alltagsdinge und Designobjekte im Wert von einem bis zu 25.000 Euro. Dem venezianischen Designer schwebte ein Gesamtkunstwerk vor, in dem neues auf altes Design treffen, unterschiedliche Designkulturen zusammenkommen und zeitgemäßes Wohnen mit einem nachhaltigen Umgang mit der Natur vereint werden sollte. Obwohl die meisten der hier gezeigten Möbel aus Luca Nichettos Studio stammten, waren in „Das Haus“ auch eine Menge anderer Designer präsent. Insgesamt wurden Objekte von 95 Designern gezeigt. Alles andere also als eine One-Man-Show.
Luca Nichetto: „Plan ist aufgegangen“
„Ich bin sehr glücklich mit dem Ergebnis von ‚Das Haus‘“, zieht Luca Nichetto das Fazit aus den entbehrungsreichen Wochen, in denen er mit seinem Team und seinen Partnern von der imm cologne an dem Projekt gearbeitet hatte. „Alles, was ich geplant hatte, hat sich materialisiert – zu einem Haus, in dem ich gerne leben würde.“ Auch die imm cologne kann mit dem Ergebnis zufrieden sein. „Das Haus“ kam durchweg sehr gut an, und der Besucherstrom musste aufgrund des großen Andrangs und der detailreichen Ausstattung der von Messebauern hochgezogenen Architektur zeitweise sogar beschränkt werden, vor allem während der drei Publikumstage. Dabei ging überraschend wenig verloren oder zu Bruch – bei den vielen Glasobjekten und kleinen Kostbarkeiten bis hin zu Nymphenburger Porzellanfiguren ein kleines Wunder, das nur dadurch zu erklären ist, dass die Besucher von „Das Haus“ sich hier spontan wohl fühlten und der Arbeit des Designers, bei dem sie „zu Gast“ waren, mit Respekt begegneten.
Realitätsnah, innovativ und trendgerecht
Dick Spierenburg, als Creative Director der imm cologne von Anfang an mit dem Projekt vertraut, ist mehr als zufrieden mit der Fortsetzung des noch jungen Design-Formats: „Als ich ‚Das Haus‘ am Sonntag zum ersten Mal fertig aufgebaut und eingerichtet sah, war der erste Eindruck überwältigend! Das Haus war so lebensecht, so einladend und zugleich so innovativ, dass es mit total überraschte. Schon die teils ganz offene, teils mit subtilen Schlitzen versehene Fassadengestaltung mit dem vielen Grün darin war spannend. Die in neun Bereiche unterteilte Einrichtung war funktional und angenehm zugleich, ohne die üblichen Wände, aber mit deutlichen Trennungen“, schildert der aus den Niederlanden kommende Designer die Grundzüge von „Das Haus“ 2013.
Interior Designer können aus dem Besuch von „Das Haus“ viele Anregungen mitnehmen. Inspirierend ist schon das Farbkonzept an sich, das skandinavisch anmutende Holztöne mit Eiche, lichten Grautönen und einem stimmungsvollen Graublau verbindet, gepaart mit Terracotta, Rosarot und einem satt-weichen Gelb – alles in Anlehnung an Canalettos Venedig-Ansichten gewählte Nuancen, nachvollziehbar anhand einer mit NCS-Codes bestimmten Farbpalette. Hinzu treten das Raumkonzept und die Lösungsvorschläge für ein begrüntes Wohnen.
Inspirierende Mischung aus skandinavischer Schlichtheit und italienischer Eleganz
Auffällig war auch, dass stilistisch – wie schon in der Gestaltung durch Nipa Doshi und Jonathan Levien im Vorjahr – keine puristische Richtung eingeschlagen wurde. Während bei Doshi Levien bewusst multikulturelle Einflüsse dominierten, arrangierte Luca Nichetto seine Mischung aus formstringent gestalteten Möbeln, opulenten Leuchten, verspielten Elementen und eleganten Solisten gleichrangig neben Designklassikern verschiedener Epochen und setzte sie in ein harmonisches, wohnliches Ambiente, das mal elegant zurückhaltend, mal frisch interpretiert schien. Diese überraschend gut funktionierende Fusion skandinavischer Schlichtheit und italienischer Eleganz ist sicherlich auch mit der Verwurzelung Nichettos in den zwei großen Designtraditionen Europas zu erklären. Neben seinem Studio in Venedig unterhält der Designer seit 2011 ein zweites Büro in Stockholm, von wo aus er mit diversen skandinavischen Markenunternehmen zusammenarbeitet.
Die größte Qualität von „Das Haus 2013“ für die imm cologne ist sicherlich, dass es gegenüber dem des Vorjahres ein unterschiedliches Konzept verfolgt, ohne das Format selbst zu verlassen. Damit hat sich „Das Haus – Interiors on Stage“ als eigenständige Plattform für kreative Wohnentwürfe bewährt.
Und so erschließt sich laut Dick Spierenburg die eigentliche Qualität der Inszenierung von Luca Nichetto auf den zweiten Blick: „Die Atmosphäre war super, auch aufgrund der vielen kleinen Details und der vielen Pflanzen. Da gab es ganz viel zu entdecken. Ständig sah man neue Ideen, Lösungen und Produktdesigns, von beliebten Klassikern zu den Prototypen von Luca selbst. Für mich war „Das Haus“ genauso wie im Vorjahr das Messe-Highlight. Aber total anders und neu!“